Diego und George (Teil 1) | Verlag Die Werkstatt Direkt zum Inhalt
blog vom 01.12.2020

Diego und George (Teil 1)

„Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gesagt: Das ist kein Fußballer – das ist ein Künstler, ein Tänzer. Er war ein Genie der damaligen Zeit – in den 70er und 80er Jahren der beste Fußballer der Welt!“

Franz Beckenbauer über Diego Maradona

 

„George Best war der talentierteste Spieler aller Zeiten. Und wahrscheinlich der beste Fußballer, der nie bei einer WM dabei war.“

Franz Beckenbauer über George Best

von Dietrich Schulze-Marmeling

Für den „Kaiser“ war George Best der „talentierteste Fußballer aller Zeiten“ und Diego Maradona „der beste Fußballer der Welt“. Nehmen wir weitere prominente Stimmen hinzu: Für Pelé, den viele für den Größten aller Großen erachten, also größer als Best und Maradona, war George Best „besser als ich“. Für Gary Lineker war Maradona „mit einem Abstand der beste Spieler meiner Generation und diskutierbar der Größte aller Zeiten“.

D10S Diego Maradona
Erscheint im Februar 2021, schon jetzt vorbestellbar:
"D10S. Maradona. Ein Leben zwischen Himmel und Hölle",
herausgegeben von Hardy Grüne und Dietrich Schulze-Marmeling.

„Der beste Spieler meiner Generation und diskutierbar der Größte aller Zeiten.“ Lineker formuliert es richtig. Dies gilt auch für die von Beckenbauer vorgenommene zeitliche Einschränkung. Denn: Wie will man exakt messen, wer der beste Fußballer aller Zeiten ist? Muss man nicht jeden Spieler im Kontext seiner Zeit betrachten? Das Spiel verändert sich – und damit auch die Anforderungen an den Spieler und deren Möglichkeiten auf dem Feld.

Ob Best besser war als Maradona, Maradona besser als Best, Maradona so gut wie Best und Best so gut wie Maradona, beide besser als Pelé – ich weiß es nicht. Und wo ist hier Cruyff einzuordnen, der eine taktische Revolution verkörperte?

Weiter geht es mit der Frage, ob Best, Maradona, Pelé und Cruyff auch besser als Messi, Ronaldo und Ibrahimovic waren. Die Generation, die dieses Quartett noch live erlebt hat, also meine, ist sich da ziemlich sicher. Jede Generation neigt dazu, die Idole ihrer Zeit zu verklären. (Und damit auch sich selber.) Das „wirklich Große“ in der Vergangenheit zu verorten, macht ein wohliges Gefühl: „Wir waren dabei, ihr nicht! Könnt ihr überhaupt mitreden?“

Und trotzdem: In einer Zeit, in der schon ein Mario Basler als „Typ“ gefeiert wird, ein Etikett, das allein schon von der jeweiligen Spielweise her eher einem Ansgar Brinkmann gebühren würde (vom restlichen Auftreten auch), erinnert man sich beim Tod von Spielern wie Best und Maradona des Besonderen, das diese groß machte. Überlebensgroß.

Interessanter als die Frage, wer nun der Beste der Besten ist: Von welcher Relevanz ist das Spiel von Best und Maradona für den heutigen Fußball? Darauf werde ich im zweiten Teil dieses Blogs eingehen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Im Folgenden geht es nur um Best und Maradona, nicht auch um Pelé und Cruyff. Denn die beiden Dribbler vor dem Herrn bilden in der Kategorie der „Besten der Besten“ eine Unterkategorie. Maradona: „George Best und ich waren sehr ähnliche Spielertypen, Dribbler, die für magische Momente sorgen konnten.“ Best und Maradona waren noch ein bisschen anders als die anderen waren. Nicht unbedingt besser, sondern anders.

Für den jungen Diego Maradona war George Best eine Quelle der Inspiration, vielleicht sogar ein Vorbild. „George hat mich begeistert, als ich jung war.“ Von Best war keine Aussage über Maradona zu finden. Seine nordirischen Landsleute haben allerdings eine klare Meinung: „Pelé good, Maradona better, George BEST.“

Best stammte aus einfachen Verhältnissen, aber mit stabilen Strukturen. Maradona wuchs in einem Armenviertel auf. Gert Eisenbürger, Lateinamerikaexperte von der Informationsstelle Lateinamerika, erzählt: Für die eher mittelständische argentinische Linke seien die Bewohner der „Villas Miserias“ „Lumpen“. „Im argentinischen Spanisch wird das deutsche Wort Lumpen im Sinne von Lumpenproletarier benutzt.“

Best sah blendend aus, Maradona eher nicht. Best war ein „Frauenheld“, Best war wohl auch der intelligentere der beiden. Best soff, Maradona kokste. „Kaum ein Fußballer, außer vielleicht George Best, lebte mehr zwischen den Extremen als Diego Maradona, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Maradona: „Ich bin wie aus heiterem Himmel aus den Tiefen der Villa Fiorito bis auf den Gipfel des Mount Everest aufgestiegen. Und einmal ganz oben angekommen, war ich plötzlich auf mich allein gestellt, weil mir niemand erklärt hatte, wie man sich in einer solchen Situation verhält.“ Dies galt auch für Best, den ersten Popstar des Fußballs. Manchester United und Matt Busby waren mit Best überfordert. Bests ehemaliger Mitspieler David Sadler: „George präsentierte dem Boss Probleme, die völlig anders waren als alles, was Matt zuvor erlebt hatte. Er wusste nichts über die Welt der Nachtklubs, Diskos und Modeboutiquen. Er stand komplett außerhalb der neuen Popkultur, in der George aufging.“ Anlässlich des Todes von Best erzählte Bobby Charlton, man habe im Umgang mit Eric Cantona aus den Erfahrungen mit Best gelernt.

Und trotzdem gibt es hier Unterschiede. Bests Aufstieg korrespondierte mit dem der britischen Popkultur. In England war seine zweite Heimat das popkulturelle, aber auch intellektuell-snobistische Chelsea. Abgesehen vom anti-irischen Rassismus, den Best schon mal zu spüren bekam, erfuhr er keine sozial und kulturell begründete Abneigung. Bei Maradona war dies anders – und ist es bis heute. Für die katalanische Bourgeoisie beim FC Barcelona war Maradona ein „Ghetto-Proll“. Neapels Mafia hingegen schloss ihn in ihre Arme.

Und politisch? Der Protestant Best entzog sich dem Bürgerkrieg in seiner Heimatstadt Belfast. Politisch war er nur in dem Sinne, dass er mit der presbyterianischen Freudlosigkeit nichts am Hut hatte, ja einen radikalen Gegenentwurf zu dieser lebte. Was konfessionsübergreifend wirkte. Saufen und Disziplinlosigkeit galten als „katholische“ Disziplinen. Für Engländer mit anti-irischen Ressentiments war Best der „typische Ire“ – ungezähmt und versoffen. Für eine gesamtirische Fußballnationalmannschaft war Best schon lange, sie hätte ihm vielleicht die Teilnahme an einem großen Turnier ermöglicht. In seinem späteren Leben sprach er sich für eine irische Vereinigung aus, was seine protestantischen Glaubensgenossen nicht hören wollten.

Maradona war politischer, bekannte sich als Linker. Er ließ sich die Antlitze seines Landsmanns Ché Guevara und von Fidel Castro auf die Oberarme tätowieren. Maradona wurde von Castro eingeladen, redete mit ihm über Fußball und Politik, pflegte Freundschaften mit Boliviens Präsidenten Evo Morales und Venezuelas Hugo Chávez, zeigte sich mit Lula in Brasilien etc. Außerdem unterstützte er die argentinische Frauenbewegung in ihrem Kampf für die Entkriminalisierung der Abtreibung. Gert Eisenbürger: „Er wusste, was es für die Frauen und speziell sehr junge Frauen in den Villas bedeutete, wenn sie schwanger wurden und das Kind nicht haben wollten. Gerade in den Villas kommen ständig Frauen bei illegalen Eingriffen ums Leben. An diesem Punkt hat er die feministische Bewegung unterstützt.“

Genies von der Straße

Best und Maradona erlernten den Umgang mit dem Ball auf der Straße, wo man vermeiden musste, auf einen harten Untergrund zu fliegen, wo man den Angriffen der älteren und körperlich überlegenen Spielern geschickt ausweichen musste, wo das Spielfeld eng war und häufig eine andere Form annahm. Best kickte endlos mit einem kleinen Tennisball. Während der Hockeyspiele seiner Mutter jonglierte oder dribbelte er mit diesem entlang der Außenlinie des Spielfelds. Er trainierte systematisch seinen linken Fuß, u.a. indem er bei einem Spiel nur diesen in einen Fußballschuh steckte. Sein Nachwuchsteam gewann mit 21:0. Best schoss ein Dutzend der Tore, alle mit dem linken Fuß.

George Best
"George Best. Der ungezähmte Fußballer"
von Dietrich Schulze-Marmeling

Best und Maradona besaßen einen starken Antritt, liefen ihren Gegenspielern einfach davon, wobei der Ball an ihren Füßen klebte. Ballkontrolle bei höchstem Tempo. Maradonas Fuß schien der Ball zu folgen wie ein Haustier“ (New York Times). United-Trainer Matt Busby hatte manchmal den Eindruck, Best habe nicht zwei, sondern sechs Füße.

Best und Maradona waren fantastische Dribbler und extrem mutige Spieler. Arnd Zeigler hat jüngst in „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ noch einmal einige Tore der beiden Genies gezeigt. Einige von Maradonas Toren wirkten wie Kopien von Bests spektakulärsten Treffern. Best und Maradona beherrschten sämtliche Facetten der Täuschung. Sie konnten über weite Strecken eines Spiels abtauchen, um plötzlich zu explodieren und dem Rest auf dem Rasen zu demonstrieren: „Wir können ein Spiel alleine entscheiden.“

Der Argentinier Diego Maradona konnte die internationale Bühne intensiver nutzen als der Nordire George Best. Die nordirische Nationalelf konnte sich in Bests großen Jahren, 1966 bis 1972, für kein großes Turnier qualifizieren. Wäre sie 1966 oder 1970 dabei gewesen, wäre sie als Underdog vermutlich bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Und Best wäre über seine Mitspieler, von denen keiner ihm auch nur annähernd das Wasser reichen konnte, frustriert gewesen. Maradona war mit Argentinien bei vier WM-Turnieren dabei. 1986 wurde die Albiceleste mit Maradona Weltmeister. Es war ein Turnier, dem Maradona in einer Weise seinen Stempel aufdrückte, wie es vor ihm nur Pelé gelungen war – und seither keinem anderen Spieler mehr.

Best blieb nur sein Klub Manchester United. Die Champions League gab es damals noch nicht. Im Europapokal der Landesmeister, ihrem Vorläufer, war Best mit den „Red Devils“ nur in drei Spielzeiten dabei. 1965/66, und 1968/69 war im Halbfinale Schluss. Best kam hier auf 21 Einsätze (9 Tore). In der Saison 1967/68 gewann United den Henkelpott. Mit einem überragenden Best, der anschließend mit dem Ballon d’Or ausgezeichnet wurde. Best gewann die Wahl vor Bobby Charlton und Dragan Dzajic. 1971 landete er auf Platz drei, hinter dem Sieger Johan Cruyff und Sandro Mazzola.

Künstler besiegen Schlächter

Best und Maradona gehören zu den am meisten gefoulten Spielern der Fußballgeschichte. Danny Blanchflower, eine weitere nordirische Fußballlegende, schwärmte, Best habe „physische Gefahren komplett missachtet. Er hat Eis in seinen Adern, Wärme in seinem Herzen und Timing und Balance in seinen Füßen.“ Der Journalist Michael Parkinson erinnert daran, „dass die Sechziger eine Zeit waren, in der Stürmer nicht den Status einer geschützten Tierart genossen. Die Verteidiger hatten Jagdsaison. Verteidiger besaßen einen Freibrief, ihre Gegenspieler zu treten. Im britischen Fußball jener Tage war kein Platz für schwache Nerven. Best überlebte, florierte, triumphierte, weil er jede körperliche, geistige und taktische Herausforderung meisterte.“ Alexander Rost schrieb in der „Zeit“: „Der Tanz dieses Außenstürmers nimmt sich aus wie ein Tanz in der Tretmühle.“ Die Versuche, ihn am Spiel zu hindern, machten sein Spiel nur noch ästhetischer. Raphael Honigstein: „Verfolgt von einem halben Dutzend Klopper und Treter schwebte er, die Gesetze der Schwerkraft missachtend, mit dem Ball am Fuß über den schlammigen Boden; jede vergebliche Grätsche wurde Teil der wundersamen Choreografie. Fußball war mehr als ein symbolischer Krieg, das erzählte sein Spiel. Fußball konnte Tanz sein, der einem das Herz erwärmt. Soviel Sinnlichkeit hatte man auf englischen Plätzen seit Stanley Matthews nicht mehr gesehen.“ Bests Solos waren mit Sitzfußballern gepflastert – mit gegnerischen Spielern, die auf ihrem Hosenboden saßen, nachdem sie vergeblich versucht hatten, ihn von den Beinen zu holen. Ein Tackling ist nicht immer die beste Lösung.

Heute predigt man körperlich unterlegenen Spielern, den Zweikampf zu vermeiden. Durch kurze Ballbesitzzeiten, durch schnelles Passen am Gegenspieler vorbei. Zweifellos intelligent und häufig angebracht. Und nicht der falsche Weg. Aber Best und Maradona wollten dem Zweikampf nicht aus dem Weg gehen. Sie suchten das direkte Duell geradezu und nahmen es dabei auch gerne mit gleich mehreren Kontrahenten auf. Und: Dem Foulversuch zu entgehen, bringt manchmal mehr ein als ein Freistoß.

Best und Maradona besiegten die Schlächter und Mobber nicht nur, sie führten diese auch noch vor – mit ihren technischen Fähigkeiten, ihrem schnellen Antritt, plötzlichen Richtungswechseln und Spielwitz. Best und Maradona überlebten die harte Gangart und physische Überlegenheit ihrer Gegenspieler, weil sie gewandt waren und das Mittel der Täuschung perfekt beherrschten.

Für Maradona wie Best gilt Alex Fergusons Definition eines großen Spielers: „Einige glauben, das Mutigste im Fußball sei der Mut den Ball zu erobern. Nun ja, es gibt Jungs, die laufen mit dem Kopf durch Backsteinmauern und bringen sich in große Gefahr. Aber die andere Form von Mut – und es ist moralischer Mut – ist, den Ball zu halten. Alle großen Spieler besaßen diese Art von Mut. ‚Ich nehme den Tritt hin, ich nehme die Verletzung hin. Aber ich werde die Kugel behaupten. Ich werde den Mobber schlagen.‘“

Ihr eigenes Gesetz

Maradona war Südamerikaner, Best Europäer. Pelé sah dies etwas anders: Für Pelé war Best „nie ein Europäer, sondern ein brasilianischer Spieler“. Mitte der 1970er erzählte Best Michael Parkinson: „Ich wünschte, ich wäre in Brasilien zur Welt gekommen. Wirklich! Die Art, wie sie Fußball spielen, mit Betonung auf Ballkontrolle, Technik, Talent – darum geht es. Wenn Brasilien in Form ist, kannst du ihr Spiel mit Musik vergleichen, oder?“

Die britische Journalistenlegende Hugh McIvanney, viele Jahre für den Observer, The Scotsman und The SundayTimes das Spiel verfolgend, schrieb über den Unterschied zwischen Pelé und Best: Pelé sei bewusster gewesen, was Fußball als Teamspiel bedeute und erfordere. Zudem habe Pelé seine ungemein großen Qualitäten mit einer größeren Bescheidenheit als Best zelebriert. Wenn eine einfache Lösung beim Gegner mehr Schaden anrichten konnte, habe Pelé nicht die komplizierte gewählt. „Aber auch Bests Extravaganzen waren eine Freude, so lange du nicht Denis Law warst, einen riesigen Spurt nach vorne hingelegt hattest, um dann zu erleben, dass sich George dazu entschieden hatte, den Verteidiger zweimal auszuspielen, statt den Ball zu dir zu passen.“ Best spielte mit den Schienbeinen der Gegenspieler Bande, jagte schon mal – in Ermangelung satisfaktionsfähiger Gegenspieler – dem Mitspieler den Ball ab und lief mit dem Ball quer übers Feld, um auf dessen anderer Seite Johan Cruyff zu tunneln. Sein Trainer Matt Busby: „Ich konnte es nicht fassen. Dieses Kind betrat das Feld, als habe er noch niemals etwas von Traditionen gehört. Und er rannte gegen sie an, stülpte sie um. Ich hätte ihn dafür anschreien können, dass er nicht den Instruktionen folgte. Aber was will man da sagen? Er war sein eigenes Gesetz. Immer. Ich lag mit ihm ständig über Kreuz.“

Der im offensiven Mittelfeld agierende Maradona ist hier näher an Pelé. Maradona setze mit klugen Pässen auch seine Mitspieler in Szene, ließ sich schon mal fallen, um Löcher zu stopfen, beteiligte sich am Spielaufbau, agierte auch als Stratege. So besehen war Maradona kompletter. Wenn Best, im offensiven Mittelfeld oder auf dem rechten Flügel unterwegs, sich fallen ließ, dann wirklich nur, um den Ball zu bekommen. Hatte Best den Ball, blieb dieser auch bei ihm. Hatte er das Gefühl, dass seine Mitspieler auf seine Pässe nicht eingehen konnten, was vor allem in der nordirischen Auswahl der Fall war, verzichtete er auf diese und machte sein eigenes Ding. Best war vielleicht etwas egoistischer als Maradona. Noch stärker als dieser sein eigenes Gesetz.

 

Im Teil 2 widme ich mich der Bedeutung von Best und Maradona für den aktuellen Fußball.

 

 

D10S. Maradona
"D10S" erscheint im Februar 2021.

Dietrich Schulze-Marmeling ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. "George Best. Der ungezähmte Fußballer", im Frühjahr folgt, zusammen mit Hardy Grüne, "D10S. Maradona. Ein Leben zwischen Himmel und Hölle". Außerdem ist er Mitherausgeber des im Verlag Die Werkstatt erschienenen "Goldenen Buchs der Fußball-Weltmeisterschaft".

 

 

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