blog vom 03.04.2020
"Eine zweigleisige 3. Liga à 24 Mannschaften wäre ideal"
(Kein) Fußball in Corona-Zeiten (3)
Marcus Uhlig ist hauptamtlicher Vorstand des Regionalligisten Rot-Weiss Essen. Er möchte die aktuelle Krise nutzen, um die "Entartung im Fußball wieder ein Stück weit zurückzudrehen". Dietrich Schulze-Marmeling sprach mit ihm u.a. über die Zukunft des Fußballs generell und der 3. Liga im Speziellen.
Rot-Weiss Essen ist nun das elfte Jahr in Folge in der 4. Liga. Und trotzdem: Euer Zuschauerschnitt ist fantastisch – aktuell knapp 11.000. In der Zuschauertabelle der 3. Liga wäre dies Platz 8. Die Geduld der Fans ist bewundernswert. Preußen Münster droht aktuell der Abstieg in die Regionalliga – und für nicht wenige wäre ein solcher gleichbedeutend mit dem Ende des Vereins. Wie kriegt ihr das hin? Welche Unterschiede zwischen Münster und Essen hast du beobachtet?
Vereine sind immer schwer zu vergleichen, und ich kann aus der Ferne auch nur schwer beurteilen, wie sich die Situation in Münster darstellt. Was ich sagen kann: RWE ist eine Mischung aus Tradition, regionaler Verwurzelung, Leidenschaft und Ambition, die einen gleich in seinen Bann zieht. Namen wie Helmut Rahn und Willi Lippens sind immer noch präsent an der Hafenstraße, ebenso wie die damit verbundenen Anekdoten. Sie haben den Verein geprägt. Hinzu kommt diese besondere Art im Ruhrgebiet, Fußball zu leben. Hier ist der Gelsenkirchener Schalke-Fan, der Dortmunder BVB-Fan und der Essener eben RWE-Fan. Das wird von Generation zu Generation weitergegeben. Zudem – und das ist vielleicht das wichtigste – haben wir es als Verein geschafft, diesen besonderen Charakter in die Gegenwart zu überführen, in der wir ambitioniert und erfolgsorientiert Fußball spielen. Man merkt, wie sehr die lange Zeit in der Regionalliga die Sehnsucht nach höherklassigem Fußball genährt hat. Jetzt sehen wir, wie viele Essener wieder ins Stadion pilgern, die das lange nicht getan haben. Und vielleicht ist bei RWE die eigene DNA noch etwas ausgeprägter als bei vielen anderen Klubs: Diese in der Tat nur schwer greifbare und somit auch nicht wirklich schlüssig erklärbare, aber ohne jeden Zweifel vorhandene massiv ausgeprägte Liebe. Dieses Fanatische … RWE ist für ganz viele Menschen nicht einfach nur der Lieblingsverein, sondern viel, viel mehr. RWE ist Teil der engeren eigenen Familie. Deshalb auch diese unfassbare und nicht zerstörbare irrationale Bedingungslosigkeit der Fans.

muss den Fußball bis zu seinen Wurzeln denken." (Foto: Markus Endberg)
Thema „Corona“: Ich kann mir vorstellen, dass in einigen Wochen einige Maßnahmen gelockert werden. Dies wird jedoch kaum Spiele betreffen, zu denen 10.000 Zuschauer kommen. Geisterspiele sind aber für die 4. Liga eine Katastrophe, da hier keine TV-Gelder fließen. Und dann gibt es noch ein Problem: Was, wenn sich ein, zwei Spieler einer Mannschaft infizieren? Dann muss der gesamte Kader für 14 Tage in Quarantäne. Folglich kann der Klub nicht antreten … Wie realistisch ist eine „ordnungsgemäße Beendigung“ der aktuellen Saison?
Die Frage fasst die Problemlage ja schon gut zusammen. Vor diesem Hintergrund ist es in der aktuellen Situation natürlich schwer vorstellbar, die Saison im gewohnten Rahmen zu Ende spielen zu können. Wichtig wird sein, dass wir als Solidargemeinschaft Fußball handeln. Die Lösungsstrategie darf sich nicht nur auf die ersten beiden Ligen beziehen, sondern muss den Fußball bis zu seinen Wurzeln denken. Das kann heißen, dass man die Saison verlängert und vielleicht auch erst im November oder Dezember zu Ende spielt. Oder man entscheidet sich zu einem Saisonabbruch, müsste sich dann aber eine vertretbare Kompensation im sportlichen wie auch im finanziellen Bereich überlegen. Das könnte aus meiner Sicht eine Aufstockung der Ligen sein, wodurch in der neuen Saison zusätzliche Heimspielerlöse generiert werden könnten und dem Tabellenbild, dass sich die Mannschaften schließlich in der aktuellen Saison hart erarbeitet haben, zumindest ein Stück weit Rechnung tragen.
Sollte diese Saison nicht mehr beendet werden, schlägst du eine Aufstockung der 3. Liga auf 24 Mannschaften oder aber eine 3. Liga mit zwei Staffeln vor. Aus meiner Sicht ist der letzte Vorschlag extrem attraktiv. Kannst du deine Vorschläge noch einmal erläutern? Und: Wie realistisch sind diese?
Am Anfang steht natürlich die Frage, ob die Verbände bereit sind, die Auswirkungen der Coronakrise auf den Fußball – so schwer das fällt – auch als Chance zu begreifen. So wie es aussieht, wird sich nach Corona einiges ändern im Fußball, also macht es doch vielleicht Sinn, diese Veränderungen in eine Richtung zu vollziehen, die dem Sport dienlich sind, und gewisse „Fehler im System“ zu eliminieren. Dazu zählt selbstverständlich auch der Übergang vom Amateur- zum Profisport. Hier ist der Flaschenhals einfach zu eng und muss grundsätzlich überdacht werden. Die Lösung in der kommenden Saison mit 24 Mannschaften in die Drittligasaison oder gar mit einer zweigeteilten 3. Liga zu starten, könnte sinnvoll werden, wenn man sich tatsächlich zu einem Saisonabbruch entschließt. Natürlich ist bei dieser Idee auch ein gewisser Eigennutz dabei. Aber wann, wenn nicht jetzt, macht es mehr Sinn, wirklich einmal alle Denkblockaden oder Tabus außen vor zu lassen, um einen Weg zu finden, wie wir eine sinnvollere Aufteilung im Bereich direkt unterhalb der DFL organisieren können? Eine 3. Liga, in der sich auch all jene Vereine wiederfinden, die jetzt durch Corona immense Verluste in den Spielbetriebseinnahmen haben. Das sind doch genau die Klubs, die – bringen wir es mal auf den Punkt – aktuell einfach nicht in eine 4. Liga passen. Dort – also in den Regionalligen – ist die Schere aktuell riesengroß: Du hast die Profiklubs wie uns, Aachen, Oberhausen, Saarbrücken, Cottbus, Leipzig, Offenbach etc. Dann hast du die klinischen Mäzenklubs wie Rödinghausen, die einfach komplett andere Voraussetzungen haben. Und dann gibt es wirklich kleine Klubs, die strukturell reine Amateurvereine sind und das auch bleiben wollen.
Wenn nun Klubs wie RWE, Aachen, Kickers Offenbach etc. in eine zweigleisige 3. Liga hochrücken, würde dies mehr Ehrlichkeit für die Regionalligen bedeuten?
Mein Reden. Genau diese Chance besteht meines Erachtens nach jetzt! Eine saubere Trennung zwischen Profi- und Amateurfußball.
Vor einigen Monaten, also noch deutlich vor der Corona-Krise, brachte Oliver Bierhoff eine zwei- oder dreigleisige 3. Liga ins Gespräch. Bierhoff stieß damit auf wenig Gegenliebe. Ein bisschen erstaunlich für eine Liga, aus der jeder heraus will, in der alle Klubs beklagen, dass man in ihr nicht überleben kann. Dreigleisig ist vielleicht zu viel, aber die Idee einer zweigleisigen 3. Liga à 18 Mannschaften sollte man meines Erachtens nicht sofort verwerfen. Wäre es nicht sinnvoll, auch ohne Corona über eine Neueinteilung der Ligen nachzudenken? Bezüglich der 3. Liga hieße dies dann: Zweigleisig nicht nur als kurzfristige Übergangslösung.
Unterschreibe ich sofort. Wobei ich auf 20 Vereine oder sogar noch mehr gehen würde. In England funktioniert das doch wunderbar mit 24 Mannschaften. Bedeutet: 23 Heimspiele. Die damit verbundenen Mehreinnahmen überkompensieren bei weitem die Mehrkosten. Aus meiner Sicht ideal. Das bedeutet natürlich auch, dass dieses neue Liga-Produkt im TV-Bereich mehr erlösen müsste, damit die Mediaeinnahmen für die Klubs nach wie vor attraktiv bleiben. Aber eine solche 3. Liga müsste man doch auch wesentlich wertvoller am TV-Markt platzieren können.
Für den Fall einer zweigleisigen 3. Liga: Wie sollten – jenseits des sportlichen – die Kriterien für ein Mitmachen lauten? Wie halten wir es mit Vereinen ohne Profifußball-Ambitionen – die 3. Liga soll ja keine bessere Regionalliga werden, wo einige Mannschaften aus Profis bestehen, andere aus besseren Amateuren. Und wie halten wir es mit den zweiten Mannschaften der Erst- und Zweitligisten?
Die Lizenzierungskriterien geben das doch jetzt schon her. Diese sollten aus meiner Sicht nicht gelockert werden, damit man wirklich die Vereine hat, die entsprechend professionelle Strukturen haben. Auch zum Thema zweite Mannschaften habe ich eine klare Meinung: Diese sollten zukünftig maximal in der Regionalliga spielen dürfen. Langfristig sollte man auch in diesem Fall mal nach England schauen, wo solche Teams seit Jahren einen eigenen Wettbewerb haben und somit gar nicht in das „normale“ Ligasystem drängen. Funktioniert dort übrigens wunderbar.
Welche Vor- und welche Nachteile hätte eine zweigleisige 3. Liga?
Aus meiner Sicht eigentlich nur Vorteile. Zu klären wäre die Aufstiegsfrage und natürlich das Hauptthema TV-Erlöse. Dazu hatte ich weiter oben schon etwas gesagt. Thema Aufstieg: Meine Wunschvorstellung wäre auch eine 2. Liga mit 20 Mannschaften, aus der dann vier absteigen. Dann könnten entweder aus beiden 3. Ligen die beiden ersten direkt aufsteigen. Oder wir nehmen erneut eine Ideen-Anleihe in England, lassen die ersten direkt aufsteigen und machen eine Art „Mini-Play-off“, in dem in beiden Ligen der zweite, der dritte, der vierte und der fünfte jeweils einen weiteren Aufsteiger ausspielen. Allein das wäre doch ein sensationelles TV-Ereignis – ganz zu schweigen von den Ticket- und Hospitality-Potenzialen bei diesen Spielen …
Zurück zur aktuellen Krise: Joachim Wagner, Präsident von Kickers Offenbach, hält ein „Massensterben von Regionalligisten“ für möglich. Wie siehst du das? Und welche Klubs hätten die besten Chancen, ein solches zu überleben?
Das sehe ich ähnlich. Grundsätzlich hätten wahrscheinlich die Vereine einen etwas längeren Atem, die sich nicht nur aus dem operativen Geschäft finanzieren, die also einen – ich nenne es immer gerne – reichen Onkel an ihrer Seite wissen. Also einen Mäzen, einen Investor.
Bietet die Krise auch die Chance, mal grundsätzlich über gewisse Entwicklungen im Profifußballs nachzudenken? Und welche Themen wären hierbei für dich besonders wichtig?
Definitiv sollten wir Corona auch dafür nutzen, um die Entartung im Fußball wieder ein Stück weit zurückzudrehen. Insbesondere wenn man sieht, wie viel Geld der Fußball bewegt und wie groß die Schere zwischen der Bundesliga und den anderen Vereinen bzw. Ligen geworden ist. Es ist die Chance, als Gemeinschaft wieder zusammenzurücken – im übertragenen Sinne natürlich. Wenn es gelingt, die Schere zwischen Arm und Reich nach Corona wieder etwas zu schließen, stärkt das den Wettbewerb und dadurch auch die Attraktivität des Sports. Ablösesummen ganz oben im Bereich dreistelliger Millionenbeträge sind durch nichts zu rechtfertigen und auch nicht erklärbar. Und ein deutscher Nationalspieler wird nicht den sofortigen Hungertod sterben, wenn er demnächst nur noch sechs statt acht Millionen Euro im Jahr verdient. Es braucht – finde ich – eine wirkungsvolle Eingrenzbarkeit der Personalkosten in Relation zum Gesamtetat. Und: Wir müssen noch mehr Systeme schaffen, wie ein Teil des Geldes im Profifußball beiseite gelegt wird, um damit zukünftig unverschuldete Krisensituationen ein Stück weit besser kompensieren zu können.
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