Nachruf auf einen EntdeckerEnzyklopädie des Spiels

Daniel Meuren

 · 07.08.2023

Nachruf auf einen Entdecker: Enzyklopädie des Spiels
Daniel Meuren und Rainer Hennies
Der Fußball der Frauen war das Lebensthema des Journalisten Rainer Hennies. Er hat es schon beackert, als es für andere noch Niemandsland war.

Von Daniel Meuren (taz)

In diesen Tagen der Fußball-WM der Frauen würde Rainer Hennies zum Telefonhörer greifen, die Sportredaktion auch der taz anrufen und ganz gewiss eine Geschichte über Beverly Rangers und ihre sportlichen „Erbinnen“ anbieten. Zum Überraschungsteam aus Jamaika würde der journalistische Kenner annähernd jeder historischen Anekdote des Fußballs der Frauen nicht aufschreiben, was sie jetzt gerade ausmacht in ihrer defensiven Stabilität, die sie ohne Gegentor ins Achtelfinale getragen hat. Rainer Hennies würde anders an die Sache herangehen.

Er, gewiss ein Unikum, würde weit in die Vergangenheit zurückblicken, als jene Beverly Ranger der erste echte Star im deutschen Frauenfußball war. Auf irgendwelchen Wegen, die Hennies genau beschreiben könnte, fand die Jamaikanerin vor fünf Jahrzehnten nach Deutschland, erzielte 1975 in ihrem unnachahmlichen Stil als Dribbelkönigin ein Tor des Monats und prägte die frühen Jahre des deutschen Frauenfußballs vor allem im Trikot der SSG Bergisch-Gladbach. Der längst untergegangene Klub ist bis heute Rekordmeister.

Beverly RangerFoto: IMAGO / HorstmüllerBeverly Ranger

Das Ausscheiden des deutschen Teams würde ihn derweil gar nicht so sehr beschäftigen. Hennies würde vermutlich stattdessen freudestrahlend einen Text verfassen zur Entwicklung des marokkanischen Nationalteams, das vom sportlichen Desaster der deutschen Frauen profitiert hat. Gerade der arabische Raum und die Entwicklung des Fußballs dort hat ihn beschäftigt, er kannte die zarten Anfänge von Reisen wie kein anderer.

Aber Rainer Hennies ist im Juli gestorben, kurz vor dem Turnier, dessen erste Ausgaben er als einer der ganz wenigen journalistisch begleitet hatte. Er wurde nur 63 Jahre alt, Krankheiten hatten seinem Körper zu stark zugesetzt. Seinem Gemüt und seiner Begeisterung für den Fußball der Frauen aber konnten sie offenbar nichts anhaben.

Neugierige Freude

Menschen, die noch zuletzt Kontakt mit ihm hatten, bestätigen, dass er sich seine neugierige Freude bewahrt hat. Diese Einstellung war es, die ihn schon in den achtziger Jahren zum Frauenfußball geführt hatte. Die ersten Länderspiele eines deutschen Nationalteams waren so etwas wie journalistisches Niemandsland. Außer Hennies befasste sich niemand intensiver mit der zarten Pflanze, die da heranwuchs. Hennies war auch der einzige Journalist, der beim einzigen Länderspiel einer DDR-Auswahl im Mai 1990 – eine Niederlage gegen eine Auswahl der CSFR, wie die Tschechoslowakei bis zur Auflösung der Föderation hieß - zugegen war. Er kannte alle und jede. Gelegentlich bahnte er ausländischen Spielerinnen gar den Weg in die Bundesliga, nicht als Spielerberater, eher als Idealist.

Hennies war dabei kein unkritischer Begleiter, aber ein Verfechter des Rechts der Frauen auf Fußball. Er legte den Finger in Wunden, besonders wenn Verbände nachlässig mit dem weiblichen Kick umgingen. Und er schrieb Geschichten auf, die sich gelegentlich wie Märchen aus 1001 Nacht gelesen haben, wenn in der arabischen Welt allen gängigen Vorurteilen zum Trotz Mädchen und Frauen gefördert wurden. Er schrieb das nicht ideologisch aufgeladen auf, sondern aus einer Grundhaltung, die man wohl humanistisch nennen darf.

2007, nach einer denkwürdigen WM in China, überredete ich Rainer, gemeinsam mit mir als Novizen in „seinem“ Revier ein Standardwerk über den Frauenfußball zu verfassen. Das Buch wäre ohne ihn undenkbar gewesen. Meine unvorbelastete Herangehensweise ermöglichte es, dass er, der vor all den Bäumen, von denen er selbst die Wurzeln kannte, den Wald nicht mehr in Gänze zu überblicken vermochte, einen Teil seines Wissens gebündelt zwischen zwei Buchdeckel brachte. Unvergessen ist eine gemeinsame Recherchereise zum Algarve-Cup nach Portugal, damals so etwas wie der Szenetreffpunkt der Welt des Frauenfußballs.

“Frauenfußball – Aus dem Abseits an die Spitze”“Frauenfußball – Aus dem Abseits an die Spitze”

Weltweit wohl einzigartig, nun fast verloren

Nahezu jede Akteurin, die irgendeine Bedeutung hatte, seien es Trainerinnen, Spielführerinnen oder die Schiedsrichterchefin, kannte Rainer Hennies, alle begegneten ihm mit Offenheit, als männliche Eindringlinge in die noch recht verschlossene Szene oftmals noch beargwöhnt wurden. Rainer Hennies aber war akzeptiert, weil er Ahnung hatte, weil er wusste, um was es ging.

Zuletzt, als der Fußball der Frauen allzu oft mit ideologischen Scheuklappen politisch aufgeladen und die Entwicklung andererseits aus seiner Sicht allzu unkritisch begleitet wurde, schüttelte er gewiss des Öfteren den Kopf. Ihm fehlte bei manch schnellem Urteil die Tiefe des Hintergrundwissens. Dieses Wissen, vielleicht sogar weltweit einzigartig, ist nun fast verloren. Nur in seinen Texten lebt es weiter.

Daniel Meuren, lange Jahre intensiver journalistischer Begleiter des Frauenfußballs für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hat gemeinsam mit Rainer Hennies im Werkstatt-Verlag das Standardwerk „Frauenfußball – Aus dem Abseits an die Spitze“ verfasst.

Dieser Text ist am 06.08.2023 in der taz erschienen.