blog vom 16.12.2020
Der BVB und seine Post-Klopp-Probleme
von Dietrich Schulze-Marmeling
Da die „sportlichen Probleme“ nicht erst mit Jürgen Klopps Abgang begannen, starte ich meine einleitende statistische Betrachtung mit der Saison 2012/13. Denn Meister wurde der BVB auch in den letzten drei Klopp-Jahren nicht. Und auch nicht Pokalsieger. Die Trainer Peter Bosz und Peter Stöger bleiben im Folgenden unberücksichtigt, da sie die Mannschaft keine komplette Saison betreuten.
Bundesliga:
Klopps Punkteschnitt 2012/13 bis 2014/15 (drei Spielzeiten, 102 Spiele): 1,79. Platzierungen: 2., 2., 7.
Tuchels Punkteschnitt 2015/16 bis 201617 (zwei Spielzeiten, 68 Spiele): 2,09. Platzierungen: 2., 3.
Favres Punkteschnitt 2018 bis 2020/21 (zwei Spielzeiten plus 11 Spieltage, 79 Spiele): 2,08. Platzierungen: 2., 2.
DFB-Pokal seit der Saison 2011/12, in der man das „Double“ gewann:
Klopp: Zweimal Finale, beide male Zweiter.
Tuchel: Zweimal Finale – einmal Zweiter, einmal Pokalsieger.
Favre: Zweimal Achtelfinale.
Europa seit der Saison 2012/13, in der man das Finale der Champions League erreichte:
Klopp: Achtel- und Viertelfinale Champions League.
Tuchel: Viertelfinale Europa League, Viertelfinale Champions League.
Favre: Zweimal Achtelfinale Champions League.

In der Bundesliga ist Borussias erfolgreichster Trainer seit der Saison 2011/12 Thomas Tuchel, gefolgt von Lucien Favre und Jürgen Klopp.
Nun sollte man die Arbeit eines Trainers nicht allein anhand der Tabelle bewerten. Dies würde weder die Spielstärke des eigenen Kaders wie die der Konkurrenten berücksichtigen. Verletzungen, Mehrfachbelastungen etc. ebenfalls nicht.
Aber dass der BVB seit der Saison 2011/12 nicht mehr Meister wurde, also auch schon in den letzten drei Klopp-Jahren nicht mehr, hat nicht nur damit zu tun, was im eigenen Haus passiert ist, sondern auch in dem der anderen – namentlich im Haus des FC Bayern.
Im Folgenden kleine Porträts der BVB-Trainer post Klopp – einschließlich ihrer Probleme in Dortmund.
Thomas Tuchel
Beim BVB war Klopps erster Nachfolger Thomas Tuchel, zu diesem Zeitpunkt der begehrteste deutsche Trainer. Seine Fußballphilosophie war zwischen Klopp und Guardiola anzusiedeln, aber näher zu der des Katalanen. Cathrin Gilbert schrieb in der „Zeit“: „Beschäftigt man sich mit der Vorstellung Tuchels vom schönen Spiel, dann gewinnt man den Eindruck, er wolle Pep Guardiola nicht nur kopieren, sondern übertrumpfen.“ Tuchel machte aus seiner Bewunderung für Guardiola keinen Hehl. Von Guardiolas Barca habe er „alles lernen“ können, „was dieses Spiel ausmacht“.
In Dortmund versprach Tuchel „Spiel gegen den Ball“, aber auch „Ballbesitz, um auf dem Platz zu verschnaufen“. Er wollte das Dortmunder Spiel mehr von hinten aufbauen und beruhigen. Der BVB habe hier „einen gewissen Rückstand aufzuholen“.
Aber Tuchels Fußball war kein kompletter Gegenentwurf zum Klopp’schen Spiel. Sein Team sollte ebenfalls „schnell in die Spitze“ spielen und „Umschaltfußball“ praktizieren. Wie Klopp war Tuchel ein Freund des intensiven Spiels, forderte hohe Laufbereitschaft und enorme Fitness, predigte Pressing und Gegenpressing. Mit Guardiola verband ihn die Betonung eines gut gefüllten Mittelfelds und taktischer Flexibilität. Wie Guardiola war Tuchel ein Freund wechselnder, der Herausforderung angepasster Spielsysteme.
Dem kreativen, aber unbequemen Tuchel gelang es binnen kurzer Zeit, den schwarz-gelben Fußball zu verändern und trotzdem erfolgreich zu spielen. Was nicht einfach war mit einem Team, dem sieben Jahre lang Vollgas-Fußball injiziert worden war. Thomas Hitzelsperger beschrieb die Veränderungen des BVB-Spiels wie folgt: „Heute steht der Ballbesitz im Vordergrund, das war unter Jürgen Klopp anders. In kritischen Situationen werden nun spielerische Lösungen gesucht.“
Der größte Unterschied zwischen Klopp und Tuchel war aber ein anderer: Sein Vorgänger war ein emotionaler „Volksfreund“ und Menschenfänger. Tuchel hingegen war introvertiert und der Öffentlichkeit wenig zugewandt. Der Philosoph und Tuchel-Fan Wolfram Eilenberger bezichtigte ihn einer „aspergerhaften Eingesponnenheit". Auch war Tuchel wenig an einer freundschaftlichen Beziehung zur Vereinsspitze gelegen. Als BVB-Boss Hans-Joachim „Aki“ Watzke anlässlich der Verpflichtung gefragt wurde, ob es ihm schwer gefallen sei, sich mit Thomas Tuchel menschlich auf einen neuen Trainer-Typen einzulassen, antwortete er. „Wir wollten keinen zweiten Klopp, weil das nicht möglich ist, sondern einen erstklassigen neuen Trainer. Den haben wir mit Thomas Tuchel gefunden.“
Der BVB war für Tuchel nur ein Projekt. Dies wurde ihm negativ ausgelegt. Noch mehr als Guardiola beim FC Bayern wurde auch Tuchel vorgehalten, als Getriebener des Erfolgs kein Gefühl für die Grundwerte eines Vereins zu entwickeln. Dass man ausgerechnet von Angestellten, denen im Falle des Misserfolgs als ersten der Rauswurf droht, deren Arbeit tagtäglich mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht wird, ja ständig hinterfragt wird, ein Höchstmaß an emotionaler Zuneigung und Loyalität erwartete, war absurd.
In der Saison 2015/16 wurde der BVB hinter Guardiolas Bayern Vizemeister. 78 Punkte waren Rekord für einen „Vize“. Vor Tuchels letzter Saison 2016/17 verkaufte der BVB Henrikh Mkhitaryan, Ilkay Gündogan und Mats Hummels – sehr zum Unwillen des Trainers, der das Wegbrechen von drei Säulen „auf weltweitem Top-Niveau“ beklagte. Der BVB beendete die Saison als Dritter und mit dem Pokalsieg. Trotzdem musste Tuchel im Sommer 2017 gehen. Grund war das angespannte Verhältnis mit BVB-Boss Joachim Watzke und einigen älteren Spielern in der Mannschaft, die einen Umbau benötigte.
Peter Bosz und Peter Stöger
Auf Tuchel folgte in der Saison 2017/18 Peter Bosz. Der Niederländer kam von Ajax Amsterdam. Mit Ajax hatte er überraschend das Finale der Europa League erreicht. Mit jungen und talentierten Spielern wie Frenkie de Jong, Donny van de Beek, Hakim Ziyech und Matthijs de Ligt, die später in die Premier League und Serie A wechselten. Als der BVB Bosz unter Vertrag nahm, schrieb der niederländische Journalist Ted van Leeuwen: „Wer Bosz wählt, entscheidet sich für ein Konzept mit einem gewissen Entwicklungsprozess. Man muss geduldig sein.“
Bosz’ verfolgte eine attraktive, aber auch riskante Taktik. Der Fan von Johan Cruyff predigte ein enorm hohes Pressing. Aber mit Spielern wie Sokratis und Co. konnte Bosz‘ Philosophie nicht funktionieren. Oliver Fritsch (Zeit.online) schrieb damals: „Die Dortmunder können einfach nicht richtig verteidigen.“ Bereits im Dezember 2017 wurde der Coach entlassen – nach neun Pflichtspielen in Folge ohne Sieg.
Die BVB-Verantwortlichen hatten keine Geduld. Die Qualifikation für den europäischen Fleischtopf Champions League war in Dortmund längst im selben Maße sportliches Pflichtprogramm wie in München - und auch aus finanziellen Gründen notwendig. Aber Geduld war allein schon deshalb gefragt, weil der Kader einen Umbau benötigte. Der BVB hatte nicht den falschen Trainer gewählt, aber der Trainer den falschen Verein.
Bei der Vorstellung seines Nachfolgers Peter Stöger deuteten Watzke und Zorc an, es sei ein Fehler gewesen, dass man sich vor der Saison gegen den Österreicher und für den Niederländer entschieden habe. Später räumte Watzke ein: „Dass es bei uns nicht über eine längere Strecke funktioniert hat, lag auch daran, dass seine Mannschaft für ihn und seine Philosophie nicht optimal war.“ Denn bei Bayer Leverkusen funktionierte Bosz nach seiner BVB-Zeit hervorragend. Als er gefragt wurde, warum sein System dort besser funktioniere als in Dortmund, antwortete er: „Da wollte ich auch schon so spielen lassen. Aber vielleicht machen die Spieler in Leverkusen es besser, als es die Spieler in Dortmund gemacht haben.“ Im Februar 2019 konstatierte der „Kicker“: „Dortmunds heutiger, deutlich umgekrempelter Kader würde viel besser zu Bosz passen.“
Bosz-Nachfolger beim BVB, Peter Stöger, hatte den 1.FC Köln in der Saison 2016/17 erstmals seit 25 Jahren wieder in einen europäischen Wettbewerb geführt, war aber anschließend mit der Mannschaft übel abgestürzt. Die Kölner hatten über ihre Verhältnisse gespielt und mit Modeste einen Spieler verloren, der etwa für die Hälfte ihrer Tore verantwortlich gewesen war. Stöger war nur als „Übergangstrainer“ gedacht. Der BVB gierte nach einem größeren Namen.
Das Favre-Drama
Im Sommer 2018 übernahm dann der Schweizer Lucien Favre den BVB, den Watzke schon ein Jahr vorher hatte holen wollen. Favre, als Spieler ein exzellenter Techniker, hatte seine Trainerkarriere als Co-Trainer bei den C-Junioren seines Stammvereins FC Echallens begonnen. Der Ex-Profi wollte einen Fußballverein von der Basis aus kennenlernen. Der Schweizer beschritt damit den „niederländischen Weg“.
Im Februar 2011 hatte Favre mit Borussia Mönchengladbach eine Mannschaft übernommen, die eigentlich schon zum Abstieg verurteilt war. Viele betrachteten die Verpflichtung des Schweizers als Hinweis darauf, dass sich die Gladbacher bereits mit der zweiten Liga abgefunden hätten, dass es dem Klub um einen kompletten Neuanfang ginge. Als Feuerwehrmann war Favre nicht bekannt. Dafür war seine Spielphilosophie viel zu gediegen. So erschien es jedenfalls.
Doch mit Favre gelang den Gladbachern noch der Klassenerhalt. In einer Art und Weise, wie dies die Bundesliga bis dahin noch nicht erlebt hatte. Der Trainer stellte den erst knapp 19-jährigen Marc André ter Stegen zwischen die Pfosten, nicht nur ein guter Torwart, sondern auch ein exzellenter Aufbauspieler. Favre war ein Freund des strukturierten Spielaufbaues. Anstatt seiner Mannschaft klassischen Abstiegskampf-Fußball zu verordnen, arbeitete Favre an der Verbesserung der Spielkultur seines Teams.
Ein Jahr später erreichte er mit einer fast identischen Mannschaft den vierten Platz. 2014/15 wurde Gladbach sogar Dritter und nahm erstmals an der Champions League teil.
Auch als Profitrainer war sich Favre nicht zu schade, an der Technik seiner Akteure zu feilen – akribisch und detailversessen. Borussia Dortmunds Franzose Abdou Diallo: „Favre bespricht mit mir meine Körperhaltung, wie ich laufen soll, wie ich den rechten, wie ich den linken Fuß einsetze – für ihn ist alles wichtig.“ Für Marco Reus, der auch schon Jürgen Klopp und Thomas Tuchel als Trainer hatte, war Favre „fachlich und menschlich der beste Trainer, den ich je hatte. Er ist unheimlich detailversessen. Was ich bislang gesehen habe, ist Wahnsinn. Er zeigt dir, wie du verteidigen sollst, wo du richtig stehst, welchen Fuß des Mitspielers du anspielen musst." Außerdem habe Favre für „jedes Spiel einen neuen Plan, und immer ist er gut.“ Raphael Guerreiro erzählte dem Magazin „11 Freunde“ über das Training der Favre-Borussen und deren Spielphilosophie: „Im Zentrum steht der Ball, wir wollen ihn besitzen, beschützen und dann etwas Gutes mit ihm anstellen. Du musst in der Lage sein, möglichst schnell die beste Lösung zu finden. Für das Spiel nach vorne, um gefährliche Situationen zu kreieren. Genauso wichtig ist es aber, in der Defensive die Blöcke so zu verschieben, das der Gegner mit seinem Ballbesitz möglichst wenig anfangen kann.“ Dafür benötige man intelligente Spieler. „Lucien-Favre-Fußball wird mit den Füßen gespielt, aber mit dem Kopf gewonnen.“
Favre machte den BVB zunächst besser. Jan-Christian Müller („Frankfurter Rundschau“) schrieb dem Schweizer ins Zwischenzeugnis: „Favre ist ein Übungsleiter im besten Sinne, der Beachtliches geleistet hat in seinem ersten Jahr in Dortmund.“ Unter Favre hätten die Dortmunder „einige Entwicklungsschritte nach vorne getätigt.“ Der BVB schloss die Saison 2018/19 als Zweiter ab, zwei Punkte hinter den Bayern. Favre wurde vorgeworfen, er sei ein Zauderer und habe den Titel nicht wirklich gewollt. Er habe nicht verstanden, eine Schwächephase der Bayern zu nutzen.
Allerdings besaß deren Kader etwas mehr Substanz als der der Borussen. Eine Saison später wurde der BVB erneut „nur Vize“, dieses Mal mit einem größeren Abstand zum Rekordmeister.
Viele Borussen-Fans empfanden Favres Fußball als zu vorsichtig und zu langweilig und trauerten weiter der „Emotionsbombe“ Jürgen Klopp nach. Im „Kicker“ skizzierte Thomas Hennecke das Problem der Klopp-Nachfolger so: „In Dortmund giert man nach einem Fußball der Kategorie AAAA: aktiv, attraktiv, atemlos, aggressiv. Mit hoher Handlungsdichte, am besten noch grandios emotional.“ Einen solchen Fußball konnte aber nur Klopp vermitteln. Hennecke weiter: „Unfreiwillig wird jeder von Klopps Nachfolgern in ein imaginäres Fernduell mit ihm gezwungen. Alle möglichen Parameter werden gegenübergestellt und abgewogen: Resultate, Statistiken, Philosophien, Titel, Auftreten, Emotionen. Klopp ist die Richtschnur, weil er den ganzen Klub in Flammen setzte und Dortmund in eine Traumfabrik verwandelte.“ Aki Watzke sah es ähnlich: „Wenn ein Verein so von einer Persönlichkeit geprägt wird wie der BVB von ihm, dann ist die Zeit danach immer schwierig.“ 2019 räumte Watzke in seiner Autobiographie ein, dass die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Klopp „vielleicht ein Fehler“ gewesen sei. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir die gesamte Mannschaft ausgetauscht hätten – und nicht den Trainer. Denn so einen Trainer (…) würden wir nie wieder bekommen, gute Spieler aber schon.“ Eine Aussage, mit der Watzke Favres Arbeit weiter erschwerte, wenn nicht sogar unmöglich machte.
Favre und die „Vollgas-Philosophie“
Ein Problem des Favre-Fußballs war, dass dieser zu weit von dem „Vollgas-Fußball“ entfernt war, auf den Verein und Fans in den Klopp-Jahren getrimmt worden waren. Der „Vollgas-Fußball“ war ein bisschen zur schwarz-gelben Philosophie geworden – wenn auch nicht offiziell. Klopps Fußball war kompatibel mit dem im Ruhrgebiet populären „Wir wollen euch kämpfen sehen!“ Tuchels Fußball weniger und Favres überhaupt nicht.
Als Jürgen Klopp 2010/11 mit dem BVB erstmals Meister wurde, reichten ihm 75 Punkte. Ein Jahr später waren es 81. Der FC Bayern kam bei seinen acht Titeln seit 2012 im Schnitt auf knapp 84 Punkte pro Saison. Dabei lag der Rekordmeister stets über Klopps Punktausbeute von 2010/11 und nur dreimal unter der von 2011/12. Die Zeiten hatten sich geändert. Der BVB war besser als in den letzten beiden Klopp-Jahren, aber für die Bayern nicht gut genug.
Seit der „entgangenen Meisterschaft“ von 2018/19 steckte Favre in einer Schublade, aus der er nicht mehr heraus kam und aus der ihn Teile der Medien und viele Fans auch nicht mehr heraus ließen. Favre erging es ähnlich wie Jogi Löw. In einem populistischen Gewerbe wie dem Fußball lässt sich ab einem bestimmten Punkt mit Fakten nicht mehr argumentieren. Es entscheidet eine von Medien und Fans aufgebaute Stimmung, die sich kaum korrigieren lässt. An der Favre allerdings nicht schuldlos war. Uli Hesse schrieb zum Favre-Abschied in „11 Freunde“, in seinen 29 Monaten beim BVB hätte Lucien Favre im Grunde nie erklären wollen oder können, „was gerade los ist, wohin die Reise gehen soll“. Zwar könne man sich auf den Standpunkt stellen, „dass es Favre in gewisser Weise sogar ehrt, wie konsequent er sich dem modernen Medienzirkus mit seinen vielen dummen Fragen verweigert hat. Aber nicht jede Frage ist dumm.“ Hesse lobte in diesem Zusammenhang Peter Bosz und dessen Pressekonferenz nach Bayers 4:1-Sieg über Hoffenheim. Dem Niederländer war Medienkritik so „scheißegal“ (Bosz) wie Favre − mindestens. Bosz: „Ich gehe meinen eigenen Weg. Für mich ist die Meinung meiner Co-Trainer und meines Sportdirektors wichtig, aber nicht die Meinung von Journalisten.“ Aber anders als Favre gab sich Bosz stets die Mühe, seine Entscheidungen und das Spiel zu erklären. Hesse, nicht nur Redakteur der 11 Freunde, sondern auch seit Kindheit Fan der Schwarz-Gelben: Als BVB-Fan hätte man schon gar nicht mehr gewusst, „dass Trainer in verständlichen Sätzen reden können und Fragen auch tatsächlich beantworten.“
Das Fehlen einer „Titelstrategie“
Dortmunds Probleme mit den Klopp-Nachfolgern dokumentieren aber auch, wie schwer es für einen Verein ist, den richtigen Trainer zu verpflichten. Und wie schwer es für den Trainer ist, den richtigen Verein zu finden. Der BVB holte Tuchel, Bosz, Stöger, Favre – und war dann stets überrascht, dass Tuchel Tuchel war, Bosz Bosz-Fußball spielen ließ, Stöger Stöger-Fußball und Favre Favre-Fußball. Und dass der Kader nicht immer zum Trainer und dessen Philosophie passte. Vielleicht wusste man aber auch nicht wirklich, was man auf dem Spielfeld sehen wollte. Genauer: Was man jenseits der Qualifikation für die Champions League und dem Gewinn der deutschen Meisterschaft sehen wollte.
Nach der Entlassung von Favre kritisierte „Altmeister“ Ottmar Hitzfeld die zu hohe Erwartungshaltung in Dortmund: „Die Bayern sind nun mal das Maß aller Dinge. Wenn du als Dortmund eine junge Mannschaft hast und Talente förderst, kannst du nicht gleichzeitig das Gefühl haben, dass du Meister wirst. Mit dieser Strategie kann der Titel nicht das Ziel sein. Zumal der BVB, im Gegensatz zu Bayern, die besten Spieler dann immer wieder verkauft.“
1995, 1996 und 2002 wurde der BVB auch dank erheblicher Investitionen Meister (Italien-Rückholaktion bzw. Börsengang − das Gehaltsniveau lag zeitweise über dem des FC Bayern). 2011 und 2012 (Klopp) war dies anders − in einer Phase, in der die Bayern stark schwächelten und der BVB die Liga mit einem Fußball überraschte, den diese noch nicht kannte. Es folgten eine bayerische Transferoffensive und schwarzgelbe Titellosigkeit.
Der BVB hat ein exzellentes Auge für junge Talente (der FC Bayern allerdings ebenfalls: siehe Davies), die in Dortmund ihren Marktwert steigern - bis zu einem Niveau, auf dem der BVB diese für eine hohe Ablöse ziehen lässt. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden. Läuft alles bestens, man KANN damit auch mal Meister werden. Aber es ist keine "Titelstrategie".
Auf transfermarkt.de liegt der "Wert" des Bayern-Kaders um ca. 280 Mio. über dem des BVB. Damit allein wird man natürlich nicht Meister, aber eine Betrachtung der beiden Kader endet für mich mit „Vorteil Bayern". Auch entlastet dies Favre nicht komplett − man kann ja auch noch andere Dinge als die Punktausbeute bemängeln, beispielsweise die seit einiger Zeit fehlende Entwicklung der Mannschaft. Was mir aber auf den Zwirn geht: Man tut so, als sei man komplett auf Augenhöhe mit den Bayern − und dass man an ihnen nicht vorbeizieht, liegt dann allein an diesen Tuchels, Boszs und Favres. Auch Klopp konnte dies in seinen letzten drei Jahre nicht mehr. Der Abstand zu den Bayern betrug 25, 19 und 33 Punkte. Also im Schnitt 25 Punkte. Seit Klopps Abgang sind es im Schnitt 14,4 Punkte. Ohne die letzten beiden (Favre-) Spielzeiten 19. Es liegt also nicht nur am Trainer, dass der BVB seit 2012 nicht mehr Meister wurde.
PS: Jürgen Klopp benötigte für seinen ersten Meistertitel mit dem FC Liverpool gute 4½ Jahre. Zuvor hörte und las man: „Klopp kann nicht mehr Titel, Klopp kann nicht mehr Finale.“ Letzteres bis zum Gewinn der Champions League 2018/19.
Der FC Liverpool hatte bei der Entscheidung für den Trainer Klopp größte Sorgfalt walten lassen, sich extrem intensiv mit dem Kandidaten beschäftigt. Anschließend gab man ihm ausreichend Zeit, eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen aufzubauen.

Dietrich Schulze-Marmeling ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschien „Klopps Liverpool“, im Frühjahr folgt "Trainer. Die wichtigsten Männer im Fußball". Außerdem ist er Mitherausgeber des im Verlag Die Werkstatt erschienenen "Goldenen Buchs der Fußball-Weltmeisterschaft".