blog vom 03.05.2018
40 Jahre 1978 … und kein bisschen weise
von Bernd-M. Beyer – Genau vier Jahrzehnte ist es her, dass die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien stattfand, in einem Land, das seinerzeit von einer brutalen Militärdiktatur beherrscht wurde. In den politischen Wirren, die der Machtergreifung der Junta vorausgegangen waren, hatte die FIFA die Austragung des WM-Turniers als stark gefährdet angesehen. Und deshalb hatte sie es durchaus begrüßt, dass die Militärs nun mit eiserner Hand für „Ruhe und Ordnung“ sorgten (was rund 30.000 Oppositionelle das Leben kostete). Hermann Neuberger, DFB-Chef und WM-Organisationschef über den Verlauf der Turniervorbereitungen: „Die Wende zum Besseren trat mit der Übernehme der Macht durch die Militärs ein“, denn die FIFA habe nun „einen Partner mit Durchsetzungsvermögen“ bekommen. Das Verhalten der FIFA und auch des DFB gegenüber den argentinischen Diktatoren ist seither zur Folie dafür geworden, wie man es nicht machen sollte – nämlich jegliche politische Kritik als sportfernes Störfeuer zu meiden und das Veranstaltungsland allein daran zu messen, ob es ihm gelingt, (egal wie) ein prima Sportereignis hinzukriegen. Nur leider hat sich in dieser Hinsicht nicht viel verändert. WM- und Olympia-Austragungsländer wie China, Russland oder Katar mögen mit den argentinischen Faschisten von 1978 nicht direkt vergleichbar sein, doch die Herrschaftsstrukturen dieser Länder bewegen sich irgendwo zwischen autoritär und diktatorisch; die Menschenrechtslage ist katastrophal. Bei China und Russland muss man zudem von einem staatlich geförderten Dopingsystem ausgehen. Grund genug, kritische Zeichen zu setzen.
Männerfreund Putin
Doch davon ist nicht viel zu sehen. Im Gegenteil: Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach gilt gemeinhin als „Putin-Versteher“. Und der langjährige FIFA-Präsident Sepp Blatter pflegte gar eine persönliche „Männerfreundschaft“ mit Putin, die sich mittlerweile nach dem Eindruck vieler Beobachter auf seinen Nachfolger Gianni Infantino vererbt hat. Über dessen Auftritt beim Confed Cup berichtete dpa: „Die tatsächliche FIFA-Haltung zu Russland-kritischen Themen wie Menschen- und Arbeitsrechten, demokratischer Vielfalt und Meinungsfreiheit bleibt vorerst allenfalls im Vagen. Infantino hatte auf alle Fälle viel Spaß beim Eröffnungsspiel und wurde mehrfach gut gelaunt mit Putin auf der Ehrentribüne fotografiert.“ Bei einer späteren Visite kickten die beiden fröhlich auf den Teppichen des Kreml und veröffentlichten ein Video davon im Internet. „Manche Leute können die größte Show der Welt kaum noch erwarten“, untertitelte die FIFA das Filmchen. Das staatliche Dopingsystem in Russland, das immerhin zum (formalen) Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen führte, hat für Infantino „keinen Einfluss auf die Vorbereitungen der FIFA-Weltmeisterschaft“. Die einzige kritische Anmerkung, die dem FIFA-Chef zu den Gastgeberländern Russland und Katar einfiel, war: Es sei falsch gewesen, die WM-Turniere 2018 und 2022 gleichzeitig zu vergeben. In diesem Zusammenhang ließ die FIFA Korruptionsvorwürfe untersuchen, sprach beide Länder aber davon frei. Von Menschenrechten war nicht die Rede, wohl aber von einer „bestmöglichen Veranstaltung“, die Russland auf die Beine stellen werde. In lupenreiner Neuberger’scher Tradition erklärte Jérome Valcke, bis 2016 Generalsekretär der FIFA: „Manchmal ist weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser. Wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt gibt, vielleicht wie Putin sie 2018 hat, ist es für uns Organisatoren leichter als etwa in Ländern wie Deutschland.“
Wege zwischen Boykott und Anbiederung
Mit internationalen Sportereignissen in Staaten, die uns politisch nicht passen, müssen wir leben, ansonsten gäbe es schlicht keinen internationalen Sportverkehr mehr. Doch zwischen Boykott und Anbiederung existiert ein weites Feld von Möglichkeiten. Zu allererst sollte man sich von der Illusion verabschieden, eine Fußball-WM oder Olympische Spiele böten die Chance zu einer Art politischem Frühling im Gastgeberland. Das ist reine Beschönigung. Jeder Gastgeber sieht solche Ereignisse in erster Linie als Chance zur Selbstdarstellung, und Diktaturen sind darin bekanntlich besonders clever. Die Nazis haben in dieser Hinsicht seit 1936 diverse kompetente Nachfolger gefunden. FIFA, UEFA, IOC und andere Verbände sollten ihre Vergaberichtlinien konsequent so anwenden, dass sie einen demokratischen Mindeststandard einfordern, beispielsweise orientiert an der UN-Menschenrechtscharta bzw. der Olympischen Charta. Turniere in Ländern, in denen staatlich legitimierter Rassismus oder gesetzlich verankerte religiöse Diskriminierung existieren, darf es nicht geben. Ein Staat wie Katar, in dem Homosexualität offiziell unter Strafe steht, hätte schon aus diesem Grund nie und nimmer Austragungsland werden dürfen. Wo ist ein DFB-Präsident, der wenigstens das mal laut ausspricht? Darüber hinaus könnten internationale Verbände die Politiker im Gastgeberland zumindest darin einschränken, das Sportturnier als Bühne der Selbstdarstellung zu nutzen: keine hübsch choreografierte Eröffnungsfeier, bei der Autokraten in eigener Regie für sich werben dürfen; kein Staatspräsident, der vor Millionen Fernsehzuschauern die Spiele für eröffnet erklärt. Warum sind es nicht Pelé, Maradona oder Zidane, die den WM-Pokal überreichen? Warum sind es nicht FIFA/IOC, die bei den Eröffnungsfeiern Regie führen (wo sie sich sonst in jedes Detail einmischen)? Das einzig Positive an einer Gastgeberrolle problematischer Staaten ist, dass die Menschenrechtslage in diesen Ländern stärker in den öffentlichen Fokus rückt, wie etwa bei Katar die Lage der ausländischen Arbeiter oder die Unterstützung des Regimes für islamistischen Terror. Zu diesem Diskurs könnten nationale Sportverbände wesentlich beitragen und damit politische Zeichen setzen. Sie können zu Hause Kampagnen unterstützen, die sich mit der politischen Situation im Gastgeberland befassen (diesbezüglich ist der DFB heute offener als 1978), sie können während des Turniers örtliche Menschenrechtsaktivisten und NGO’s einladen, mit ihnen reden und ihnen Eintrittskarten verschaffen. Damit können sie keine eigene Außenpolitik betreiben, aber doch kleine Nadelstiche setzen gegen eine Funktionalisierung des Sportereignisses durch undemokratische Regimes. 1978 in Argentinien durfte der unbelehrbare Nazi-Oberst Hans Ulrich Rudel, Kopf eines Netzwerkes von geflüchteten NS-Verbrechern in Argentinien, durchs westdeutsche WM-Quartier schlendern, während eine Delegation von amnesty international am Eingangstor abgewiesen wurde. So jedenfalls sollte man es nicht machen.
PS für einschlägig interessierte Experten:
Das Stichwort „Rudel“ führt uns leider wieder einmal zu unseren Freunden Nils Havemann und Markwart Herzog, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, allen, die sie für linke Ideologen halten, in der Sportgeschichtsschreibung den Kampf anzusagen, und die dabei einen beachtlichen (Havemann würde schreiben: „pathologischen“) Eifer an den Tag legen. So behauptet Havemann seit Jahren (und zuletzt vor einigen Wochen auf einer Tagung in Irsee), es sei ausgerechnet der vom linksliberalen Mainstream verhätschelte Bundestrainer Helmut Schön gewesen, der Rudel 1978 in Argentinien ins Mannschaftsquartier eingeladen habe. Den Trainer nämlich habe „wahrheitsgemäß“ (wie Herzog formuliert) eine „Soldatenkameradschaft“ mit Rudel verbunden. Nur hätten die „Leitmedien“ nichts Schlechtes über Schön schreiben wollen, um stattdessen den als konservativ bekannten DFB-Präsidenten Hermann Neuberger als Sündenbock zu schlachten. Eine Liaison von Nazi-Rudel zu Neuberger hat’s wohl nicht gegeben, eine zu Schön aber auch nicht. Um dem liberalen Bundestrainer eine „seltsame Verbindung ins braune Milieu“ (Havemann) anzudichten, hat der Historiker schlicht das getan, was er den „linken Ideologen“ vorwirft: Er hat eine einsame, ihm (politisch) passende Meldung entweder ungeprüft oder wider besseren Wissens als Tatsache hingestellt. In Wahrheit kannte Schön den NS-Oberst bis dato gar nicht persönlich und die Behauptung einer „Soldatenkameradschaft“ ist für den Trainer, dessen Militärkarriere sich auf einige Tage als unterster Dienstgrad beschränkte, schlicht absurd. Den Mythos von der angeblichen Einladung und Soldatenkumpanei hat ein erboster Helmut Schön denn auch unmittelbar nach dem Turnier 1978 eindeutig dementiert und einen klaren Beweis gleich mitgeliefert, und zwar öffentlich (im Detail nachzulesen u.a. in meiner Biografie über Schön, erschienen Ende 2016). Schöns Gegendarstellung erwähnt Havemann mit keinem Wort. Wie man es so macht, wenn es einem nicht um Wissen, sondern um Gewissheiten geht.
Bernd-M. Beyer hat 2017 im Verlag Die Werkstatt das Buch „Helmut Schön – Eine Biografie“ veröffentlicht, das von der Deutschen Akademie für Fußballkultur als "Fußballbuch des Jahres 2017" ausgezeichnet wurde.