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blog vom 11.01.2022

Sportboykotte gegen NS-Deutschland

von Bernd-M. Beyer

Das Sportjahr 2022 bringt zwei internationale Großereignisse: die Olympischen Winterspiele in Peking und die Fußball-WM in Katar. In beiden Fällen werden die gastgebenden Länder autokratisch bzw. diktatorisch regiert. Dieser Umstand, der mit den Menschenrechts-Sonntagsreden von IOC und FIFA nicht zu vereinbaren ist, hat Diskussionen um einen Boykott angefacht.

Im Falle Pekings deutet sich bei vielen westlichen Demokratien ein – ausgesprochener oder unausgesprochener – „diplomatischer Boykott“ an. Es werden aus diesen Ländern keine politischen Repräsentanten nach Peking reisen. Bei Katar gibt es ähnliche Überlegungen bisher nicht. Boykottforderungen werden hier fast ausschließlich von Fans, Publizist*innen und einigen wenigen Profifußballern erhoben.

Einen Boykott aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland hat es bei Großereignissen bisher nicht gegeben, eine Diskussion darum aber schon. Historisch war dies zum ersten Mal der Fall bei den Olympischen Spielen in Nazi-Deutschland 1936. Wenn mit diesem Text an die teils wenig bekannten Boykottaktionen 1936 bis 1939 erinnert wird, so sollen damit keine simplen historischen Parallelen gezogen werden. Allerdings ist beim Vergleich zu berücksichtigen: Die damaligen Boykottforderungen richteten sich noch nicht gegen das Deutschland des Holocaust und der Kriegsverbrechen (das sich damals noch niemand vorstellen mochte), sondern „nur“ gegen eine rassistische, antisemitische Diktatur.

Frappierend ähnlich ist ein anderer Umstand: Damals wie heute begnügte sich das IOC (ebenso wie die FIFA) mit der Versicherung des Gastgeberlandes, man werde die Menschenrechte im Rahmen der Olympischen Spiele (bzw. des WM-Turniers) einhalten. Die übrige politische Situation in Deutschland, wo schon seit September 1935 die Nürnberger Rassegesetze galten, interessierte die IOC-Bosse dagegen nicht.

Olympia 1936
XI. Olympische Spiele im Olympiastadion Berlin (Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-P017073 / Frankl, A. / CC-BY-SA 3.0,
CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons)

Diskussionen um Olympia 1936

Als die Nazi-Machthaber 1933 die Austragung der Olympischen Spiele erbten (sie war Berlin bereits 1931 vom IOC zugesprochen worden), erkannten sie darin einen Glücksfall und die Möglichkeit, „die weltweite öffentliche Meinung mit kulturellen Mitteln zu beeinflussen. (…) Man muss der Welt zeigen, was das neue Deutschland kulturell zu leisten vermag“, so Propagandaminister Goebbels. Ein klarer Fall von Sportswashing, würden wir heute sagen. Gegenüber internationalen Skeptikern versicherte die Reichsführung, dass „sämtliche Vorschriften, denen die Olympischen Spiele unterliegen, eingehalten werden“ und dass „deutsche Juden grundsätzlich nicht aus der deutschen Mannschaft für die Olympiade ausgeschlossen werden“. Dem IOC reichte das.

Dennoch entstanden vor 1936 kleinere Boykottbewegungen in Skandinavien und Großbritannien, die aber keine große Wirkung erzielten. In den USA hingegen riefen die antisemitischen Rassegesetze im Deutschen Reich stärkere Besorgnisse hervor. Eine Petition gegen die Teilnahme der US-Sportler*innen erzielte eine halbe Million Unterschriften, es gab Protestveranstaltungen mit Zehntausenden Teilnehmer*innen. Auch die American Athletic Union (AAU) sprach sich für einen Boykott der Spiele aus, sofern die Teilnahme jüdischer Athlet*innen „nicht faktisch ebenso wie theoretisch“ garantiert werde.

Avery Brundage, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees der USA, Mitglied des IOC (und später, ab 1952, dessen Präsident), versuchte, die Proteste zu untergraben. Er war selbst Antisemit und brüstete sich damit, dass seine Sportklubs in Chicago Juden ausschlössen. Von einer „Erkundungstour“ durchs Deutsche Reich kam er mit der Versicherung zurück, es gebe „keinerlei Diskriminierung“ von Juden im deutschen Sport. Als die Deutschen zusagten, zwei „Halbjuden“ zu den Spielen antreten zu lassen – die Fechterin Helene Mayer und den Eishockeyspieler Rudi Ball (beide lebten im Ausland) –, konnte sich Brundage im US-NOK durchsetzen. Auch die AAU sprach sich auf einer Delegiertenversammlung mit knapper Mehrheit (58:56) für die Teilnahme aus. Brundage hatte die entscheidende Abstimmung um einen Tag verschoben, weil sich eine Niederlage abzeichnete und er weitere Delegierte aus seinem Lager herbeirufen konnte. Die USA traten somit 1936 in Garmisch-Partenkirchen und in Berlin an.

Fußball-Boykotte 1938, 1939

Die internationalen Fußballbeziehungen liefen nach 1933 zunächst „as usual“. Zuweilen kam es bei Spielen der deutschen Nationalelf im Ausland zu Protesten und Demonstrationen, so im März 1935 in Paris und im Dezember 1935 in London; beide Male distanzierten sich die nationalen Fußballverbände von diesen Aktionen. Auch als bei der WM 1938 die „großdeutsche“ Mannschaft mit einer offensichtlich auf politischen Druck zusammengestellten Elf antrat – paritätisch besetzt mit Spielern aus dem „Altreich“ und der gerade einverleibten „Ostmark“ (Österreich) – störte sich die FIFA nicht an diesem politischen Eingriff.

Kurz danach allerdings folgten als historische Einschnitte im November 1938 die Reichspogromnacht, die eine neue Brutalität der Nationalsozialisten gegenüber den Juden demonstrierte, und im März 1939 der Überfall auf die Tschechoslowakei. Dieses militantere Vorgehen des NS-Regimes hatte nun doch Auswirkungen auf die sportlichen Auslandsbeziehungen.

Einen Monat nach der Reichspogromnacht sagte der Rotterdamer Bürgermeister das geplante Fußball-Länderspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland ab. Der „Kicker“, Organ des DFB, reagierte in einem Artikel seines Hauptschriftleiters Müllenbach mit offen antisemitischen Beschimpfungen: „Holland war für diese jüdisch-bolschewistische Clique schon lange ein günstiger Boden.“ Man wisse, „daß der Kampf der Juden und ihrer bezahlten Helfer nichts und gar nichts anderes ist, als eine bewußte Gefährdung des Friedens unter den Völkern. Nun blieb es den holländischen Behörden vorbehalten, sich ins Schlepptau dieser Hetzer nehmen zu lassen.“

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei sagte der FC Everton eine geplante Tournee durch Deutschland ab, und der französische Innenminister verbot ein Länderspiel gegen Deutschland. Prompt empörte sich „Kicker“-Chef Müllenbach über eine „große englische Hetzkampagne“ bzw. einen „Hetzfeldzug“ in Frankreich. Die zuvor meist bewunderten englischen Profis waren nun nur noch „Sklaven des Geldes der Plutokratie“.

Als Hitler-Deutschland den Weltkrieg entfesselt hatte, rissen die Kontakte zu den Fußballverbänden der Kriegsgegner zwangsläufig ab. Die Verbände der neutralen Länder Schweden und Schweiz dagegen standen dem deutschen Fußball weiterhin zu Diensten. Als deren Teams im Herbst 1942 die deutsche Elf mit „Freundschaftsspielen“ beehrten, waren in Auschwitz-Birkenau bereits die Gaskammern in Betrieb.

 

 

Boykottiert Katar 2022

 

Bernd Beyer arbeitete zunächst als Tageszeitungsredakteur, danach studierte er Politik und Volkswirtschaft. Neben seiner Tätigkeit als Verleger und Cheflektor hat er im Verlag Die Werkstatt mehrere Monografien und Beiträge zu Fußballthemen veröffentlicht, zuletzt "Boykottiert Katar 2022! Warum wir die FIFA stoppen müssen" (zusammen mit Dietrich Schulze Marmeling) und "71/72. Die Saison der Träumer" (Fußballbuch des Jahres 2021).

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