Karl-Heinz Schnellinger

Karl-Heinz SchnellingerFoto: IMAGO / Sven Simon
Karl-Heinz Schnellinger
Am 20. Mai 2024 ist der ehemalige Nationalspieler Karl-Heinz Schnellinger im Alter von 85 Jahren in Mailand gestorben. Er spielte für Deutschland vier Weltmeisterschaften, u.a. das Jahrhundertspiel 1970 gegen Italien, mit seinem 1. FC Köln wurde er 1962 Deutscher Meister und wurde Fußballer des Jahres, anschließend wechselte er nach Italien.

Hier ein Auszug aus unserem Buch „Mit dem Geißbock auf der Brust“ von Dirk Unschuld und Frederic Latz:

Karl-Heinz Schnellinger

Geboren: 31.03.1939 in Düren
Spielposition: Abwehr
Spitzname: „Der Fuss“ („fussich“ = Kölsch für „rothaarig“), „Kalli“
FC-Trikotnummer: 3, 6, 5, 4, 2

Vom Straßenfußballer zum Weltklasseverteidiger – so lässt sich die Karriere von Karl-Heinz Schnellinger bezeichnen. In seiner Heimatstadt Düren kickte er als Kind mit seinen Spielkameraden in jeder freien Minute.

Das war das Einzige, das man machen konnte, zuerst auf der Straße, und dann ist eines Tages jemand auf mich zugekommen und fragte, warum ich nicht zu ihnen in den Verein kommen würde.

So wurde er mit zwölf Jahren Mitglied der SG Düren 99. Schnellingers Eltern (sein Vater war Prokurist bei einem Dürener Unternehmen), die aus Mannheim und Ludwigshafen stammten, hatten für das Hobby ihres Sohnes, der bis zur Obersekunda das naturwissenschaftliche Gymnasium in Düren besuchte, zunächst nicht viel übrig. Auch Bruder Gert und Schwester Irene hatten keinerlei Interesse am Fußball.

Doch dem außergewöhnlichen Talent des Filius konnten sich auch die Erziehungsberechtigten nicht verschließen. Bei den „99ern“ entwickelte sich Schnellinger zur herausragenden Persönlichkeit. Schnell kam er zu Berufungen in die Mittelrheinauswahl und die westdeutsche Auswahl. In der Jugendnationalmannschaft spielte er in der Defensive mit seinem späteren Mitspieler Fritz Pott. Höhepunkt war das internationale UEFA-Turnier1957 in Spanien, wo man den favorisierten Gastgebern in Madrid vor 110.000 Zuschauern ein 2:2 abtrotzte. Schon in der Jugend wurde Schnellinger zum Verteidiger ausgebildet. Bei einem Freundschaftsspiel ließ man ihn sogar unter falschem Namen in der ersten Mannschaft spielen. Allerdings wollte Schnellinger nie ein Verteidiger im wahrsten Sinne des Wortes sein, er wollte nicht nur Tore verhindern, sondern auch Tore erzielen. Nach der elften Klasse verließ er das Gymnasium und begann ein Volontariat beim Warenhauskonzern „Kaufhof“.

Noch als Mitglied des seinerzeit in der zweiten Liga spielenden Düren 99 wurde er zum A-Nationalspieler und debütierte als 19-Jähriger in der Elf von Bundestrainer Herberger – gerade noch rechtzeitig, um bei der WM 1958 in Schweden dabei zu sein. Damals eine Sensation. „Ein Oberschüler in der Nationalelf“, titelte eine Zeitung. Im Umfeld der WM knüpfte Franz Kremer, der Mitglied der deutschen Delegation war, erste Kontakte zu Schnellinger. Den Rest erledigte FC-Schatzmeister Richard Pelzer: „Ich hatte Angebote von Alemannia Aachen, 1. FC Kaiserslautern und Rot-Weiss Essen. Pelzer war bei uns zu Hause und sagte zu meinen Eltern: ‚Ich weiß, dass schon viele bei Ihnen waren und Ihren Sohn haben wollen. Letztendlich müssen Sie entscheiden, aber ich bin der Meinung, dass die Schuhe Ihres Sohnes abends am Bett bei Ihnen zu Hause stehen sollten.‘ Meine Mutter sagte dann zu meinem Vater: ‚Wilhelm, das hat uns aber noch keiner gesagt‘, und da war die Sache gelaufen.“ Anfang August 1958 unterzeichnete Schnellinger dann einen Vertrag bei den Geißböcken. Sehr zur Verärgerung der Verantwortlichen von Düren 99, die anschließend in der Presse einigen Wirbel veranstalteten und Schnellinger eine weitere, passive Mitgliedschaft bei den „99ern“ quasi verweigerten.

In Düren besaß er bereits internationales Format, doch beim FC formte man ihn zum Weltklassespieler, der alle Facetten des Spiels meisterlich beherrschte. Fairer Kampf, überragende Technik und perfektes Stellungs- und Kopfballspiel gehörten ebenso zu seinem Repertoire wie offensive Qualitäten im Spielaufbau. Kaum ein Akteur der damaligen Zeit beherrschte das Sliding Tackling so perfekt wie der rotblonde Dürener. Oft stritten die Experten darüber, wo dieser unfassbar gute Fußballer am besten aufgehoben war: in der Verteidigung oder als Läufer, wo er den Sturm noch idealer ankurbeln konnte. Den Offensivdrang ließ er sich als Verteidiger aber sowieso nicht nehmen. So wurde der beidfüßig starke 1,81-Meter-Athlet nicht nur bei den Geißböcken, sondern auch in der Nationalmannschaft zur Stammkraft.

Nach 1958 nahm er an drei weiteren Weltmeisterschaften teil und erzielte 1970 sein einziges Tor für Deutschland. Dieses Ausgleichstor kurz vor Spielschluss im WM-Halbfinale gegen Italien ermöglichte erst das „Jahrhundertspiel“, das nach Verlängerung höchstdramatisch 4:3 für Italien endete. Fernsehkommentator Ernst Huberty kreierte nach dem Last-Minute-Ausgleich den Ausspruch „Ausgerechnet Schnellinger“, da Schnellinger zu dieser Zeit in Italien beim AC Mailand engagiert war. Die Wortwahl kann „Carlo il Biondo“ (Carlo, der Blonde), wie er in Italien genannt wird, nicht völlig nachvollziehen:

Ja nun, ausgerechnet. Ich finde, das zeigt einfach meinen Charakter. Das zeigt, dass ich überall, wo ich gespielt habe, das Maximum gegeben habe. Egal, wer der Gegner war.

In Köln, wo man ihm wegen seiner rotblonden Haare den Spitznamen „der Fuss“ verpasste, wohnte Schnellinger zusammen mit seiner Ehefrau im Haus von Präsident Franz Kremer und arbeitete zusätzlich in der Geschenk- und Werbeartikelfirma des „Bosses“. Kremers Ehefrau Liselotte ist zudem Patin von Schnellingers Tochter Birgit. Seine Zeit bei den Kölnern krönte der Abwehrorganisator mit dem Gewinn der Meisterschaft 1962 und der anschließenden Wahl zu Deutschlands Fußballer des Jahres. Bereits 1962 lagen dem FC zahlreiche Angebote anderer Klubs für den Nationalspieler vor. Doch Schnellinger wollte (noch) nicht wechseln.

Rekordwechsel nach Italien

Ein Jahr später verließ er dennoch die Domstadt. „Eines Tages kam Franz Kremer auf mich zu und sagte: ‚Die Römer wollen dich haben. Die bieten so viel Geld, so viel kannst du hier nie verdienen.‘ Damals gab es ja nur 400 D-Mark im Monat. Und dann bin ich also auf sein Anraten hin gegangen.“ Kremer und Schatzmeister Richard Pelzer führten die Verhandlungen mit den italienischen Unterhändlern. Mit dem Ehrentreffer zum 1:3 beim letzten deutschen Endspiel gegen Borussia Dortmund verabschiedete sich Schnellinger vom FC. Die für damalige Verhältnisse unglaubliche Ablöse von 1,12 Millionen D-Mark zahlte der AS Rom für den Publikumsliebling. 300.000 D-Mark der Transfersumme wurden als Handgeld an den Spieler überwiesen. Solche Geldsummen waren im deutschen Fußball seinerzeit noch vollkommen neu, und so gab es in den Medien auch zahlreiche kritische Stimmen. Richard Pelzer kümmerte sich weiterhin um die Mehrung von Schnellingers Vermögen, organisierte beispielsweise den Bau eines Mietshauses in Köln-Ehrenfeld.

Der „Dürener Jung“ wurde auch in Italien zum Superstar. Zunächst von Rom an den AC Mantova ausgeliehen, fand er ab 1965 beim AC Mailand seine sportliche Heimat im Land des Calcio. Innerhalb von neun Jahren holte Schnellinger mit „Milan“ außer dem UEFA-Cup sämtliche Trophäen, die ein Vereinsspieler seinerzeit gewinnen konnte, beispielsweise den Pokal der Landesmeister und den Weltpokal, die er beide als erster deutscher Spieler überhaupt gewann.

Wie hoch sein internationales Ansehen war, belegt die Tatsache, dass der legendäre Sir Stanley Matthews den Deutschen unbedingt bei seinem Abschiedsspiel dabeihaben wollte. Auch in die Europa- und Weltauswahl wurde Schnellinger berufen. 1974 kehrte der Mann, der an vier Weltmeisterschaften teilgenommen hatte, für ein kurzes Intermezzo bei Aufsteiger Tennis Borussia Berlin nach Deutschland zurück, konnte den Abstieg der „Veilchen“ aber nicht verhindern. Nach nur einem Jahr zog es ihn wieder in seine Wahlheimat Mailand zurück.

In Segrate, unweit der lombardischen Metropole, lebt der Vater zweier Töchter (Birgit und Daniela) gemeinsam mit seiner Ehefrau Ursula bis heute. Tochter Birgit arbeitete in den 1990er Jahren in einer Mailänder Firma des späteren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Nach seiner aktiven Laufbahn arbeitete Schnellinger als PRChef für ein französisch-italienisches Lebensmittelunternehmen. 2007 zwang ihn eine Krankheit dazu, kürzer zu treten. Nach einem durch Darmblutungen verursachten zweitägigen Koma konnte Schnellinger sich allerdings erholen. Jetzt genießt er seinen Ruhestand, hält sich durch Magazine und das Fernsehen über die Bundesliga und den 1. FC Köln auf dem Laufenden. Die vier Enkelkinder (zwei Jungen, zwei Mädchen) halten ihn auf Trab.

Ich finde es natürlich schade, dass der FC nicht weiter oben steht und um die Meisterschaft mitspielt. Besonders beeindruckend finde ich die Zuschauer. Solch ein treues Publikum gibt es selten.

1962 erschien im Copress-Verlag München die von Willy Thelen verfasste Schnellinger-Biographie mit dem Titel „Gib mir den Ball“.

Statistik beim 1. FC Köln

1958/59 Oberliga West 19/0; Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 6/0

1959/60 Oberliga West 28/1; Westdeutscher Pokal 5/0; Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 7/0

1960/61 Oberliga West 28/0; Westdeutscher Pokal 2/0; Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 6/0

1961/62 Oberliga West 30/5; Westdeutscher Pokal 2/2; DFB-Pokal 2/0; Europäischer Messepokal 3/0; Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 4/0

1962/63 Oberliga West 26/2; Westdeutscher Pokal 1/0; DFB-Pokal 1/0; Europapokal der Landesmeister 1/0; Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 7/1

Pflichtspiele 178/11

Freundschaftsspiele 31/0

Erfolge beim 1. FC Köln

Deutscher Meister 1962; Deutscher Vizemeister 1960, 1963; Westdeutscher Meister 1960, 1961, 1962, 1963; Westdeutscher Vizemeister 1959; Westdeutscher Vizepokalsieger 1960

Laufbahn als Spieler

  • 7/1951 – 6/1957 SG Düren 99 (Jugend)
  • 7/1957 – 7/1958 SG Düren 99
  • 8/1958 – 6/1963 1. FC Köln
  • 7/1963 – 6/1964 AC Mantova (Italien)
  • 7/1964 – 6/1965 AS Rom (Italien)
  • 7/1965 – 6/1974 AC Mailand (Italien)
  • 8/1974 – 6/1975 Tennis Borussia Berlin

Erfolge als Spieler

Europapokalsieger der Landesmeister 1969; Weltpokalsieger 1969; Europapokalsieger der Pokalsieger 1968, 1973; Finalist Europapokal der Pokalsieger 1974; Finalist UEFA-Super-Cup 1973; Italienischer Meister 1968; Italienischer Pokalsieger 1967, 1972, 1973; Italienischer Vizemeister 1969, 1971, 1972, 1973; Italienischer Pokal-Finalist 1968, 1971; Intercontinental-Cup- Sieger 1969; Fußballer des Jahres in Deutschland 1962

Länderspiele

47 A-Länderspiele/1 Tor für Deutschland (davon 24/0 für den 1. FC Köln) (1958 – 1971)

1 Amateurländerspiel/0 Tore für Deutschland (1957)

4 Juniorenländerspiele/0 Tore für Deutschland (1957)

Erfolge als Nationalspieler

Vizeweltmeister 1966 (England)

WM-Teilnehmer 1958 (Schweden), 1962 (Chile), 1970 (Mexiko)